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Druckneutrale Technik revolutioniert Tiefseefahrzeuge
Dr.-Ing. Martin Lück
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Die
im Golf von Mexiko aufgetretenen Probleme auf der Ölplattform
„Deepwater Horizon“ demonstrierten der
Weltöffentlichkeit anhand der verursachten Umweltschäden eine
schmerzliche Tatsache: der Einsatz der Technik ist in der Tiefsee mit
erheblichen Unsicherheitsfaktoren und Risiken behaftet.
Trotzdem steigt das Interesse an der Tiefsee in den letzten Jahren
erheblich. Dabei geht es nicht nur um die Gewinnung von Rohstoffen.
Auch Forscher aus den unterschiedlichsten Disziplinen, zum Beispiel der
Biologie und der Geologie drängen in die Tiefsee. Erst
kürzlich zeigte der „Census of Marine Life“
eindrucksvoll, wie viele unerforschte weiße Flecken sich auf den
Landkarten die Tiefsee heute noch befinden. Bei diesem liebevoll
„Volkszählung der Ozeane“ genannten Projekt, schafften
es Wissenschaftler, mehrere Tausend neuer Spezies in den dunklen
Tiefen der Ozeane zu entdecken. Trotzdem gilt der größte
Teil der Tiefsee bis heute noch als weitgehend unerforscht.
Für die Reise ins Unbekannte benötigt man technische
Hilfsmittel, welche es erlauben, dem hohen statischen Wasserdruck, der
Kälte, der Dunkelheit und dem korrosiven Seewasser zu widerstehen.
Dabei rücken so genannte Autonomous Underwater Vehicles (AUV) in
den Fokus der Entwicklung. Sie bieten bei der enormen Ausdehnung der
Ozeane gute Möglichkeiten, große Areale in einem einzigen
Tauchgang zu erkunden. Erst kürzlich gelang es mit drei AUVs, die
Trümmer einer seit zwei Jahren verschollenen Air France Maschine
in 6.000 Meter Tiefe zu finden, so dass die Flugschreiber und auch
Leichen geborgen werden konnten. Allerdings gibt es bisher nur sehr
wenige AUVs, die bis in diese Tiefe vordringen können
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Das Fachgebiet Mikrotechnik der Technischen Universität Berlin
unter der Leitung von Prof. Dr. Heinz Lehr entwickelte in den Jahren
von 2006 bis 2009 im Rahmen eines vom Bundesministerium für
Wirtschaft (BMWi)
geförderten Verbundprojekts ein AUV, die „DNS Pegel“.
Im Hinblick auf ähnliche Aktivitäten in aller Welt scheint
dies nur eine „me too“-Maßnahme zu sein, da die
Bundesrepublik Deutschland bei der Tiefseeforschung bisher kräftig
hinterher hinkt.
Tatsächlich gewann die Entwicklung dieses AUVs jedoch schnell an
Bedeutung, da dabei eine grundlegend neue Idee zum Aufbau eines
Unterwasserfahrzeugs erfolgreich in die Tat umgesetzt wurde. Bisher
gebräuchliche Unterwassereinrichtungen benutzen Druckhüllen,
um die Einbauten vor dem Meerwasser und dem hohen Außendruck zu
schützen. Diese Bauweise erfordert bei zunehmender Wassertiefe
dicke Wandungen und ist daher kostenintensiv. Bei der „DNS
Pegel“ wird erstmalig konsequent die druckneutrale Technik
für den Aufbau eines Unterwasserfahrzeugs eingesetzt. Dabei ist
der Innenraum des Fahrzeugs komplett geflutet und alle
Einbaukomponenten unterliegen dem Wasserdruck. Dies erfordert eine
spezielle Bauweise des Boots sowie aller Einbauteile und führt zu
einer erheblichen Reduktion der Baukosten, wobei nahezu beliebige
Tauchtiefen des Fahrzeugs möglich sind. Die Testfahrten in der
Ostsee und der Drucktests aller Komponenten bis zu 600 bar belegen,
dass sich dieses neue Konzept für den Aufbau von
Tiefseeeinrichtungen hervorragend eignet.
Die erfolgreiche Erprobung der druckneutralen Technik sowie die
überzeugenden Tauchgänge der „DNS Pegel“ in der
Ostsee bewegten das BMWi, ein Nachfolgeprojekt zu bewilligen:
„Druckneutrale Systeme für die Tiefsee“ (Laufzeit 2009
bis Ende 2013), mit einem Fördervolumen von 4,7 Millionen Euro.
Bei dem Gemeinschaftsprojekt der vier Projektpartner - ENITECH GmbH
(Rostock), EvoLogics GmbH (Berlin), Leibniz-Institut für
Ostseeforschung Warnemünde und FG Mikrotechnik (TU Berlin) - geht
es um die Entwicklung eines tiefseetauglichen AUVs mit einer Tauchtiefe
von 6.000 Meter. Das Fachgebiet Mikrotechnik beteiligt sich mit
fünf wissenschaftlichen Mitarbeitern und vielen Studierenden an der
Forschungsarbeit.
Bei dem Einsatz der druckneutralen Technik lastet der hydrostatische
Wasserdruck auf jedem Bauteil, wobei Feststoffe, Vergussmassen oder
Fluide den Außendruck auf die Funktionselemente übertragen,
beispielsweise auf Akkumulatoren, Elektronikbauteile, elektrische
Motoren, Sensoren, optische Elemente, Mikroprozessoren sowie auch auf
das Board des Bordcomputers. Da kein Differenzdruck zum umgebenden
Wasser entsteht, gibt es keine Druckhüllen. Allerdings müssen
die Funktionsbauteile so gefertigt sein, dass sie dem Wasserdruck
widerstehen können. Vorbild findet diese Technik in der Natur.
Auch die über viele Jahrmillionen evolutionär an den
Lebensraum angepassten Tiere der Tiefsee haben keine
„Druckkammern“.
Im Vergleich zur herkömmlichen Bauweise mit
massiven
Druckhüllen bietet die druckneutrale Unterwassertechnik
entscheidende Vorteile. Es entfallen die aufwendigen Druckkammern sowie
die wegen des Druckunterschieds kritischen mechanischen und
elektrischen Durchführungen zwischen dem Außen- und dem
Innenbereich. Der einfache Aufbau des Bootskörpers ist unten
dargestellt. Ein Titangerüst dient als Skelett (dunkel), das
mit dem eigentlichen Auftriebskörper ausgekleidet wird, dem
syntaktischen Schaum (rot). Eine durch Tiefziehen geformte
Kunststoffhülle (gelb) reduziert den Fahrwiderstand in Wasser.
Druckhüllen sind aufgrund ihrer präzisen Fertigung
empfindlich. Bei falscher Handhabung kann dies zum Totalausfall des
Gesamtsystems führen. Da keine Leckage auftreten darf, stellt jede
Öffnung des Fahrzeugs eine langwierige Prozedur dar, wohingegen
Umbauten bei offenen, druckneutralen AUVs keine Schwierigkeiten
bereiten, da jeder Teil des Fahrzeugs zugänglich ist und jede
Komponente beliebig eingebaut werden kann, ohne auf Druckhüllen
Rücksicht zu nehmen.
Durch die Einführung einer völlig neuen Technik ergeben sich
zwangsläufig auch Nachteile. Bei Druckhüllenfahrzeugen kann
man auf Standardbauteile und bekannte Konstruktionsprinzipien
zurückgreifen, so dass der Aufbau zwar mit hohen Kosten behaftet
ist, jedoch recht schnell vonstatten geht. Da der druckneutrale Ansatz
neu ist, gibt es kaum kommerziell erhältliche Bauteile und auch
keine Richtlinien zur „richtigen“ Bauweise. Dies bedeutet,
dass die Gestaltung des Boots sowie jeder Komponente neu entwickelt
werden müssen. Hierzu zählen scheinbar einfache Bauteile wie
Kabel und Steckverbindungen sowie komplexe Baugruppen: Rudersystem,
Querantriebe, elektrische Stellantriebe inklusive Hauptantrieb,
Videokameras sowie Lithium-Polymer-Akkumulatoren und alle elektrischen
Steuersysteme. Dies bedeutet Pionierarbeit, die sich jedoch auch
auszahlt, da viele Entwicklungen patentierbar sind und von den
beteiligten Firmen inzwischen erfolgreich vermarktet werden.
Das Bild unten zeigt die DNS Pegel
auf einem Forschungsschiff in der Ostsee bei der Vorbereitung eines
Tauchgangs. Durch das einfache Abnehmen der Strömungshülle
erhält man Zugang zu allen Bauteilen.
Ziel des neuen Forschungsvorhabens „Druckneutrale Systeme
für die Tiefsee“ ist der Aufbau und der Test eines
druckneutralen Tiefsee-AUVs unter realen Tiefseebedingungen. Je nach
Forschungsvorhaben lassen sich variable Nutzlasten einbauen, wodurch
das Fahrzeug flexibel an jede Tauchmission angepasst wird.
Das untere Bild zeigt unser neues AUV mit dem Namen „PreToS“
(Pressure Tolerant System), das auf dem Forschungsschiff mittels
Helling gelagert ist, um zur Jungfernfahrt zu starten. Die Form des AUV
ist der Natur nachgebildet und orientiert sich am Körper der
Pinguine. Schon bei der Jungfernfahrt zeigte sich, dass dieses AUV im
Vergleich zur DNS Pegel noch wesentlich wendiger ist.
Die Höhepunkte des Projekts bilden mehrere Forschungsfahrten auf
dem Atlantik, bei denen die druckneutrale Technik in einem Testgebiet
im Madeira-Becken mit Wassertiefen von 6.000 Meter Tiefe ihre
Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen muss. Die ersten
Tauchgänge mit druckneutralen Tauchsystemen von Bord des
Forschungsschiffs FS Poseidon erfolgten bereits im Herbst 2010, wobei
am Meeresgrund aufregende Videofilme gewonnen wurden.
Die Tiefsee ist ein attraktives zukunftsträchtiges Forschungs- und
Arbeitsgebiet, bei dem es noch zahlreiche Geheimnisse zu lüften
gilt. Die Erforschung dieser unendlichen Weiten befindet sich heute
erst am Anfang, wobei das Fachgebiet Mikrotechnik der Technischen
Universität Berlin mit seinem Projektteam bei der Entwicklung der
druckneutralen Technik für die Tiefsee einen wichtigen Beitrag
leistet.
Projektpartner
ENITECH Energietechnik Elektronik GmbH, Bentwisch / Rostock
EvoLogics GmbH, Berlin
Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde
Wir danken dem Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie und Projektträger Jülich für
die finanzielle Förderung dieser Projekte.
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