2     Speicherringe für Synchrotronstrahlung
Arbeiten am Speicherring BESSY
Als ich meine Arbeit am Berliner Elektronenspeicherring für Synchrotronstrahlung (BESSY) unter der Leitung von Gottfried Mühlhaupt be­gann, war dieser 1982 gerade in Betrieb gegan­gen, wo­bei die Beschleunigung der Elektronen in einem Synchrotron und deren Einschuss in den Spei­cherring schon recht gut gelang. Allerdings galt es, eine Anlage aufzubauen, die höchst si­cher Syn­chrotronstrahlung für Nutzer an vielen Strahl­roh­ren produziert. Und davon war man noch weit ent­fernt. Der im Speicherring anhand von Ab­lenk­magneten in einem Kreis umlaufende Elek­tro­­nen­strahl wurde durch Quadrupole und Sextupole fo­kus­siert. Geringe Aufstellungsfehler der Ma­gnete führten jedoch dazu, dass die Elektronenbahn in Zick­zacklinien und insgesamt mit einer viel zu ho­hen Strahllage durch das Vakuumrohr lief. Nur wenige Nutzer erhielten daher die tangential in den Ab­lenkmagneten abgestrahlte Synchrotron­strah­lung an der von ihnen gewünschten Stelle. Sor­ge bereitete vor allem die hohe Strahllage.
Infolge meiner Erfahrung mit Beschleunigeranlagen entwickelte ich die Theorie, dass alle Ablenk­ma­gnete in eine Richtung gekippt seien. Dies wurde zu­nächst hohnlachend abgetan. Beim nächsten „Shutdown“ begab ich mich in den Spei­cher­ring, ausgestattet mit einer Hochpräzisions­wasser­waage und kontrollierte anhand von speziell dafür vorgesehenen Referenzflächen an den Ab­lenk­magneten deren Neigung. Dabei zeigte sich, dass ich richtig lag. In der Folge wurde nochmals die Stellung aller Magnete vermessen und neu ein­justiert. Als Grund für die Magnetneigung stellte sich heraus, dass die schwere Abschirmmauer, die den Speicherring umgab, auf den gleichen Bo­den­­platten wie die Ablenkmagnete aufgebaut war, so dass die allgemeine Neigung der Ablenkma­gnete verständlich war. Doch gelang es, trotz genauer Justage der Magnete, nicht alle Nutzer zu­frie­­den zu stellen. Die exakte Strahllage war nach wie vor unbekannt und wurde durch wildes Han­tie­ren an kleinen Ablenkmagneten (Steerer) eingestellt. Da es sich jedoch um eine periodische An­ord­nung handelte, kam es dann an anderen Stellen zu Ablagefehlern des Strahls, wodurch eine unbefriedi­gende Situation entstand.  
Ich ent­­wickelte daher, basierend auf der Strahloptik des Speicherrings, eine Methode zur lokalen Strahl­ab­lenkung, so dass andere Nutzer unbehelligt blieben. Hierbei wurden jeweils drei Steerer gleich­­zeitig in Betrieb genommen. Dies geschah abgeglichen, so dass nur an der Stelle des Nutzer­stahlrohrs so genannte Strahlbeulen ent­stan­den. Al­ler­­dings reichten die vorhandenen Steerer nicht aus, so dass wir uns zunächst mit zusätz­li­chen Hilfs­wicklungen auf Quadrupolen begnügten und in der Folge weitere Steerer orderten. Nach wie vor blieb jedoch die exakte Strahllage weitge­hend un­be­kannt.
Am Speicherring waren an wenigen Stellen kapazitive Pick-ups eingebaut, die es prin­zi­piell durch Aufnahme des HF-Signals der umlaufenden Elektronenpakete ermöglichen sollten, die Strahllage zu vermessen. Allerdings steckte die Kenntnis über die Genauigkeit hiermit erzielbarer Resultate noch in den Kinderschuhen, so dass ich mir im Labor eine Einrichtung mit HF-Einkopp­lung aufbaute, die es ermöglichte, genaue Messungen durchzuführen. Dabei zeigte es sich, dass eine direkte Messung des an jedem Knopf eingekoppelten und verstärkten Signals über Subtraktion und Summenbildung eine lokale Strahllagemessung mit einer Genauigkeit von wenigen Hundertstel Mil­limeter ermöglichte. Ich wies das auch direkt im Speicherring an den vorhandenen Knöpfen nach, so dass in der Folge die einzelnen Abschnitte des Speicherrings mit kapazitiven Pick-ups und ge­eig­ne­ten Signalschaltungen ausgerüstet wurden. Die hiermit mögliche Strahllagemessung ließ sich automatisch durchführen. Aus den Abweichungen zur Solllage konnte man eine „Superbeule“ be­­rech­nen, so dass die Strahllage nach zweimaliger Korrektur an den Messpunkten sehr gut korri­giert war und sich alle Nutzer zufrieden zeigten.

Blick auf das BESSY-Gebäude am Breitenbachplatz,
über dem sich eine Kuppel wölbt, welche die Speicherringhalle bedeckt
Arbeiten am BESSY Synchrotron
Bei all den vielen Umbauarbeiten im Speicherring blieb zunächst unbeachtet, dass der Beschleu­ni­ger, das Synchrotron, immer unzuverlässiger lief. Ein Speicherring ist jedoch darauf angewiesen, die durch Coulomb-Streuung an den Restmolekülen verlorenen Elektronen wieder nachzufüllen, da sich die Intensität der Synchro­tron­­­strah­lung proportional zum Strom im Speicherring verhält. Dieser „Füllvorgang“ sollte nur von kurzer Dauer sein, um den Nutzern eine lange Strahlzeit zu liefern. Tat­sächlich funktionierte die Beschleunigeranlage so schlecht, dass es gelegentlich eine Stunde dauerte, bis der Speicherring wieder gefüllt war. Zu erwähnen ist hierbei, dass der BESSY-Slogan lautete: no light no money. Dementsprechend musste ich mich mit dem Syn­chro­tron und dessen Vorinjektor, einem Mikrotron beschäftigen.
Im Vergleich zu einem Speicherring ist ein Synchrotron eine komplizierte Anlage, die im Fall des BESSY-Synchrotrons die Elektronen mit einem Takt von zehn Hertz beschleunigte. Dabei wurden die Ströme der Dipolmagnete sowie zweier Quadrupolmagnetkreise gleichzeitig in drei Schwing­krei­sen auf- und ab bewegt. Die jeweilige Primärstromversorgung erfolgte durch gekoppelte Pri­mär­­schwingkreise mit leistungsfähigen Netzgeräten. Da ein Phasenversatz der drei Schwing­kreise auch zur Relativabweichung der jeweiligen Magnetfelder führte, tritt dadurch Strahl­­ver­­lust auf und es galt, die Phasenabweichung von zwei Kreisen relativ zum Haupt­kreis zu mes­sen und zu regeln. Darüber hinaus jitterte jedoch auch der den Injektionszeit­punkt bestimmende Monitor und das Mik­rotron „flackerte“. Insgesamt musste daher die ganze An­lage überarbeitet wer­den.
Um die Strahllage und den Injektionsvorgang präzise zu detektieren, ent­wickel­te ich spezielle Monitore und neue Peaking-strips (Detektion Injektionszeitpunkt), die Z80-Software zur Synchro­ni­sa­tion der drei Schwingkreise wurde neu ausgelegt und die großen Lei­stungs­netzteile völlig neu aufge­baut. Zusätzlich stellte ich die Differentialgleichung für die Entwicklung des Strahl­durch­messers während der Beschleunigung auf, bestimmte die Lösungsfunktion und bestätigte die Ergeb­nisse anhand Mes­sungen des Strahlquerschnitts zu verschiedenen Zeitpunkten der Be­schleu­nigung. Alle Funktionen des Synchrotrons ließen sich in der Folge gut detektieren, so dass Fehler sofort er­kennbar waren. In dieser Zeit entwickelte ich mich zu einem Synchrotronexperten, dessen Know-how begehrt war, so dass ich als Berater der schwedischen Firma Scanditronix tätig war, die für die Synchrotronlichtquelle in Hsinchu (Taiwan) gerade ein Synchrotron konzipierte.
Präzisionsmessung der Elektronenenergie im Speicherring
BESSY hatte zu diesem Zeitpunkt fast alle Zielvereinbarungen erfüllt. Allerdings war noch eine Aufgabe zu erledigen, die für einen Gesellschafter von BESSY, die Physikalisch Technische Bun­des­anstalt (PTB) höchste Bedeutung aufwies: die präzise Messung der Ener­gie der umlaufenden Elek­tronen. Dies war not­wendig, da BESSY infolge der sehr gut berechen­ba­ren Intensität der Syn­chro­tronstrahlung als euro­päisches Strahlungsnormal diente. Zur Bestimmung der Strahlungs­inten­sität geht die Kenntnis der Elektronenenergie mit hoher Potenz ein. Zu diesem Zeitpunkt war die Elektronenergie aufgrund der Vermessung der Ablenkmagnetfelder nur mit einigen Promille Ge­nau­igkeit bekannt. Durch Steerer und Strahllageabweichungen resultierten weitere Unsicher­hei­ten, so dass ein völlig anderes Ver­fahren zur Energiemessung erforderlich wurde.
Am Budker Institut in Novosibirsk hatte man ein Verfahren entwickelt, mit dem sich die Energie der in einem Speicherring umlaufenden Elektronen mit fünf Tausendstel Promille genau messen lässt, also ein Tausendfaches genauer als bisher. Das Prinzip beruht darauf, dass sich der Eigen­dreh­impuls der Elektronen, der so genannte Spin, durch Abstrahlung von Synchrotronstrah­lung aus­rich­tet, er wird polarisiert. Nun lässt sich die Polarisation durch Einstrahlung eines elek­tro­ma­gne­ti­schen Wechselfelds an einer Stelle des Speicherrings wieder zerstören. Dabei nutzt man aus, dass sich die Elektronen wie kleine Elementarmagnete verhalten, die im Ablenkfeld der Dipol­magnete eine Prä­zes­sionsbewegung (Kreisel) ausführen. Wirkt das eingestrahlte Wechselfeld beim Durch­gang der Elektronen durch den Depolarisator immer am gleichen Präzessionswinkel, dann kippt die Rotati­ons­achse der Elektronen, es findet Depolarisation statt. Dabei entspricht die Frequenz des Wech­selfelds der Energie der umlaufenden Elektronen. Allerdings bedeutet dies, dass die Depolarisation der Elektronen nachgewiesen werden muss. Hier konnte ich mit Erfolg mein Know-how aus Hoch­­ener­gie- und Kernphysik einsetzen.
In einem Elektronenspeicherring zirkulieren die Elektronen gebündelt in Paketen mit einer Ge­schwin­digkeit, die sehr nahe an der Lichtgeschwindigkeit liegt, so dass die spezielle Relativi­täts­the­orie greift. In den Paketen führen die Elektronen ungeordnete Bewegungen aus. Sie bewegen sich auf­einander zu und werden dabei aufgrund der elektrostatischen Wechselwirkung abgelenkt. So kann die Bewegung zweier Elektronen, die im Elektronenpaket senkrecht aufeinander zulaufen, eine Ablenkung um 90 Grad erfahren, so dass die Transversalbewegung dieser Elektronen bei einem solchen Streuereignis in die longitudinale Richtung überführt wird. Ein Elektron bewegt sich daher in die gleiche Richtung wie das Elektronenpaket, das korrespondierende Elektron entgegen­ge­setzt zur Bewegungsrichtung des Elektronenpakets. Dies geschieht jedoch im Eigensystem des mit fast Licht­ge­schwindigkeit umlaufenden Elektronen­pa­kets.
Die Tat­sache, dass die beiden Elek­tro­nen im Eigen­system des Elektronenpakets aufeinander pral­len, bedeutet, dass sie einen vom Schwer­punkt abweichenden Im­puls besitzen, der nach der Streu­ung in einen po­si­tiven und einen negativen Longitudinalimpuls der Elektronen verwandelt wird. Be­trach­tet man diese Impuls­ab­weichung im Ruhesystem des Beobachters, so ist die Lorentztrans­for­­ma­tion anzu­wen­den, und es stellt sich heraus, dass die im Ruhesystem des Elektronenpakets win­­zigen Impulsab­weichungen im La­bor­system aufgrund des relativistischen Faktors zu beträcht­lichen Im­pulsabwei­chun­gen der beiden Elektronen führen. Daher werden sie nach dem Streuer­eignis beim Durch­gang durch einen Ablenk­ma­gne­ten so stark abgelenkt, dass sie an der Vakuum­kam­mer zerschellen. Detektiert man also die­se Elektronen in Koinzidenz (gleichzeitig), so hat man ein solches Streuer­eignis nachgewiesen. Da­bei ist es jedoch entscheidend, ob die gestreuten Elektronen gleichen oder entgegen gesetzten Spin auf­weisen. Je nach der Relativstellung des Spins ändert sich die Zählrate bei Depolarisation sofort. Dement­sprechend baute ich die erforderliche Apparatur am Spei­cherring auf. Und nach einigen Anfangs­schwie­rigkeiten gelang die Energiemessung reibungslos, so dass die Energiebestimmung des Elek­tronenstrahls eine Standardprozedur bei BESSY wurde.
Kompaktspeicherringlichtquelle COSY
Durch die intensiven Arbeiten an der Gesamtanlage ließ sich diese fast vollautomatisch betreiben, so dass wir uns nach neuen Zielen umschauten. Hierzu zählte der Einsatz der Synchrotronstrahlung für die Mikrofertigung elektronischer Bauteile. Hier ist anzumerken, dass der Bau von BESSY von der Fraunhofer Gesellschaft genau zu diesem Zweck unterstützt wurde, wobei der Leiter der Fraun­hofergruppe bei BESSY, Anton Heu­berger, mit seinen Leuten Pionierarbeit leistete und an vielen Strahl­rohren in akribischer Kleinarbeit zeigte, dass die gute Parallelität der Synchrotronstrahlung und ihre hohe Intensität hervorragend geeignet ist, die Struktur einer Maske durch Schattenprojek­tion in ein lichtempfindliches Polymermaterial zu übertragen. Dies gelang vorher auch schon mit konventionellen Projektoren. Allerdings eröffnete die Synchrotronstrahlung die Aussicht, den Struk­turübertrag wesentlich präziser zu erreichen, um Elektronikchips mit größerer Leistung zu pro­du­zieren. Die Erfolge der Fraunhofergruppe veranlassten die Industriepartner, eine kompakte Syn­chro­tronlichtquelle zu verlangen, die man „in jede Werkhalle stellen kann“.
Damit eine solche Anlage einen erheblich kleineren Flächenbedarf aufweist, müssen supraleitende Ablenkmagnete eingesetzt werden, die eine beträchtlich größere magnetische Induktion und damit klei­nere Ab­lenk­radien aufweisen. Die folgende Abbildung zeigt eine Übersicht der geplanten Kompaktspeicherringanlage, in der die beiden roten Vakuumtanks zu erkennen sind. In ihnen befinden sich die supraleitenden Spulen zur Erzeugung der magnetischen 180° Ablenkfelder. Die Tanks sind durch zwei gerade Vakuumrohre, in denen die Elektronen verlaufen, verbunden. Zwei magnetische Linsen (Quadrupole) fokussieren den Elektronenstrahl. Ein seitlich einmündendes Rohr zeigt die Injektionssektion. Gegenüber ist ein Hohlraumresonator eingebaut, welcher den Energieverlust der Elektronen infolge der Emission der Synchrotronstrahlung ausgleicht. Links vorne gehen von dem Ablenkmagneten zwei Synchrotronstrahlrohre ab, mit denen das tangential zur Elektronenbahn abgestrahlte Licht an die Belichtungsstationen geleitet wird.


Übersicht der geplanten Kompaktspeicherringanlage COSY.
BESSY entwarf das Gesamtkonzept der Anlage und beauftragte zu­nächst eine englische Firma mit der Konzeption der Ablenkmagnete. Da man jedoch seitens der Bun­desre­gie­rung eine nationale Lösung anstrebte, wurde eine deutsche Firma mit dem Bau der supra­­lei­ten­den Magnete betraut. Während die Ablenkmagnete entwickelt wurden, errichtete BESSY einen kleinen Speicherring, der elektronenoptisch das gleiche Verhalten wie die supraleitende Lö­sung zeigte. Die Ablenkmagnete waren jedoch konventionell aufgebaut, so dass es prinzipiell zwar möglich war, in den Speicherring zu injizieren, jedoch konnte man die Elektronenenergie aufgrund von magnetischer Sättigung in den Ablenkmagneten nicht weiter er­hö­hen. Neben den anderen oben beschriebenen Aufgaben entwickelte ich in dieser Zeit spezielle magnetische Ablenkeinheiten, einen Septummagneten und zwei sehr schnelle Kicker, die zur Injektion dienten. Aufgrund der kur­zen Umlaufzeiten in dem Kompaktspeicherring COSY (Compact Synchrotron) mussten diese Ab­lenk­einheiten höchsten Timingansprüchen genügen. Nach Inbetriebnahme von COSY gelang es auch recht schnell, Elektronen zu speichern. Jedoch traten bei der niedrigen Einschuss­ener­gie un­er­wartete Strahlinstabilitäten auf, die wir vom großen Speicherring her nicht kannten. Der maximal speicherbare Strom war recht gering und genügte nicht den Anforderungen.

Erster gespeicherter Strahl in der normal leitenden Ausführung der Kompaktspeicherringlichtquelle COSY, erkennbar an der Synchrotronstrahlung,
die aus dem Flansch mit Sichtfenster austritt
Zwischenepisode ESRF
Der bisherige Leiter der BESSY-Speicherringanlage, Gottfried Mühlhaupt, war unterdessen nach Grenoble ge­gangen, um dort am Bau der neu zu errichtenden European Synchrotron Radiation Faci­lity (ESRF) mitzuwirken. Im Vergleich zu BESSY handelt es sich um eine riesige Anlage, die zwi­schen den Flüssen Drac und Isère entstand. Da dort ein Synchrotronexperte benötigt wurde, bat er mich, nach Grenoble zu kommen. Es begann eine sehr intensive Zeit, in der ich mich um die elek­tro­nen­­optische und um die gerätetechnische Auslegung des Synchrotrons nebst Strahlführungs­system vom Vorbeschleuniger, einem LINAC, in das Synchrotron sowie auch um die Strahlführung vom Syn­chrotron in den Speicherring kümmerte. Hierbei wurde ich wesentlich von einem amerika­ni­schen Freund und Kollegen, Arie van Steenbergen, unterstützt. Insgesamt gelang uns ein guter Wurf. Die Beschleunigeranlage entstand nach unseren Plänen. Mein Aufenthalt in Grenoble war zwar sehr arbeits- und erfolgreich, jedoch privat schwierig, da meine Frau Helena, die als Urologin weiterhin in einem Berliner Krankenhaus arbeitete, keine Stelle in Frankreich fand. So war ich froh, dass mir der Geschäftsführer der inzwischen in Berlin gegründeten Firma COSY MicroTec eine Stelle als Beschleunigerexperte anbot, wobei es der Firma darum ging, die inzwi­schen stagnierte Entwicklung des Kompaktspeicherrings COSY weiter voran zu treiben.
Plan der ESRF mit der Lage zwischen den Flüssen Drac und Isère.
Im Innern der Speicherringanlage ist das Synchrotron zu erkennen
COSY Microtec
Zurück in Berlin kümmerte ich mich intensiv um die Erhöhung des Injektionsstroms in den noch normal leitenden Speicherring. Allerdings gelang es trotz aller elektronenoptischer Tricks nicht, die In­stabilitäten zu überwinden. Während meines Aufenthalts in Grenoble hatte ich Gelegenheit, viele Beschleunigerexperten aus der ganzen Welt kennen zu lernen. Hierzu zählte auch Mikael Erikson, der mich mehrfach einlud, ihn in Lund (Schweden) zu besuchen. Er baute dort eine Synchrotron­licht­quelle nach einem völlig neuen Konzept auf, mit dem Hauptziel, Kosten zu sparen und trotz­dem die Qualität großer Anlagen zu erreichen. Dieser Besuch war sehr wertvoll, da ich dort erfuhr, dass die Schweden ebenfalls eine Niederenergieinjektion einsetzten und mit der gleichen Proble­ma­tik, mit der wir in Berlin zu kämpfen hatten. Durch einen Zufall fand das schwedische Team die Lö­sung des Problems und entwickelte hierzu auch gleich ein theoretisches Modell. Die Schwierigkeit ergibt sich durch die unvermeidbaren Restmoleküle im Speicherring, die durch den Elek­tro­nenbeschuss ioni­siert werden und sich dann, wegen ihrer positiven Ladung am Ort des negativen Elektro­nen­strahls be­vor­zugt anlagern. Aufgrund der niedrigen Energie der eingeschossenen Elektronen erfahren diese im Potentialtopf der Ionen zusätzliche Ablenkkräfte, die den so genannten Arbeits­punkt der Ma­schi­ne „verschmieren“, so dass viele Elektronen in Resonanzzustände gelangen und da­durch verlo­ren gehen. In Lund hatte man zwei Tricks gefunden, die Situation zu verbessern: zum einen an die vor­han­den Pick-up-Platten eine hohe Spannung zu legen, um die Ionen „abzusaugen“ und weiterhin den Speicherring sehr ungleichmäßig zu füllen, damit die sich am Ort des Elektronenstrahls befind­lichen Ionen eine periodische Potentialschwankung erfahren und dabei „heraus­geschleudert“ wer­den. Zurück bei BESSY zeigte es sich, dass die Methode mit der „Absaugspannung“ prinzipiell funktionierte. Der Injektionsstrom ließ sich sofort um zwei Größenordnungen steigern. Aufgrund der kurzen Um­lauf­zeit in COSY und der relativ großen Ionenmassen führte jedoch der Trick mit der ungleichmäßigen Füllung zu keiner Wirkung.
Inzwischen waren die supraleitenden Ablenkmagnete fertig gestellt, und die Anlage wurde ent­spre­chend umgebaut und erweitert. Allerdings zeigten die supraleitenden Magnete bei der Feldver­mes­sung erhebliche Abweichungen von den Sollwerten, so dass es höchst fraglich war, ob eine erfolg­reiche Injektion und Beschleunigung gelingen würde. Es dauerte auch sehr lange, bis wir Elek­tronen injizieren, speichern und den injizierten Strom sukzessive erhöhen konnten. Allerdings musste man, um die Energie des gespeicherten Strahls zu steigern, das Feld des supralei­tenden Ablenk­magne­ten und der dazwischen befindlichen Quadrupole synchron hochfah­ren. Dies gelang nur unzureichend, da sich der Ablenkmagnet extrem nichtlinear verhielt.
Immerhin hatten wir erstmals gezeigt, dass die Niederenergieinjektion in einen Kompaktspei­cher­ring mit supraleitenden Ablenkmagneten funktioniert. In Verhandlungen mit dem Magnethersteller wurden die Mängel verdeutlicht, und wir forderten die Lieferung neuer, optimierter Ablenk­magne­te. Eine ver­besserte Version der Ablenkmagnete hätte sicherlich zum Erfolg geführt. Infolge dieser insgesamt erfolgreichen Arbeiten entstanden allein in Japan über dreißig Kompaktspeicherringe. Gleichermaßen fanden in England bei Oxford In­stru­ments und in den USA am Brookhaven National Lab (BNL) entsprechende Entwicklungen statt. Da es sich um eine Entwicklung handelte, die das Potential in sich trug, vor allem Speicherchips sehr viel kleiner als bisher zu fertigen, rührte sich auch der Riese IBM und wollte die weitere Ent­wicklung nicht verpassen. So kam es zu einer Auf­­forderung an COSY MicroTec, an Oxford Instruments und an Northrop Grumman, die sich mit  NBL zusammen getan hatten, Angebote für die Fertigung und den Aufbau einer kompakten Spei­cher­ring­anlage in Almaden (USA) zu erstellen. Nach langen und zähen Verhandlungen entschied sich IBM für Oxford Instruments, obwohl dort zu diesem Zeitpunkt noch keine Anlage aufgebaut war. Tatsächlich dauerte es in der Folge Jahre, bis die Kompaktspeicherringanlage in Almaden er­folg­reich in Betrieb ging, wobei auch mehrere Versionen von Ablenkmagneten gebaut wurden.
Hier ist anzumerken, dass uns zu diesem Zeitpunkt die Entwicklung in der Chipfertigung bereits über­holt hatte. Den Herstellern konventioneller Lithographieeinrichtungen war es inzwischen anhand verschie­de­ner technischer Tricks gelungen, die Packungsdichte der Chips erheblich zu steigern, so dass die Chip­hersteller die Einführung der neuen Technologie Synchrotronstrahlung vermieden und auf Be­währtes setzten. Schließlich weigerte sich der Magnethersteller, neue Ablenkmagnete für COSY zu fertigen, so dass die Entwicklung der Kompaktlichtquelle stagnierte. Damit wurde deutlich, dass COSY MikroTec die Hauptgrundlage ihrer Firmengründung entzogen war.
Da ich weiterhin bei der Firma beschäftigt war, bearbeitete ich verschiedene Aufträge von Mittelgebern zu Themen der Beschleu­ni­gerentwicklung, um COSY MicroTec finanziell zu stützen. Hierzu zählten Studien zur Entwicklung einer supraleitenden Kompaktspeicherringanlage am Kernfor­schungs­zentrum Karlsruhe sowie auch Untersuchungen zum Aufbau eines Synchrotrons in Hsinchu, Taiwan und in Trieste, Italien. Die damals im Entstehen begriffene Speicherringanlage Sincro­­trone Trieste plante den Bau eines Synchrotrons, das als Speicherringinjektor dienen sollte. Man forderte mich an, um im Auf­trag von COSY MicroTec in Trieste Entwicklungsarbeiten auszuführen. Nach mehreren Arbeitsaufenthal­ten in Italien wurde aber in Berlin deutlich, dass COSY MicroTec nicht weiter existieren konnte.
Im Zuge dessen erhielt ich ein persönliches Vertragsangebot aus Trieste (Italien), um am Aufbau der dortigen Speicherring­anlage mitzuwirken und wurde gebeten, zur Unter­zeich­nung nach Trieste zu kom­men. Dort angekommen, wurde mir vom Schirmherrn der Anlage dem mir gut bekannten Carlo Rubbia verkün­det, dass die Zentralre­gierung in Rom die Zahlung aller Mittel gestoppt habe und ich daher einen „Ver­trag ohne Unterschrift“ erhalte. Nach dieser Enttäuschung fand ich in Berlin ein Angebot der BESSY-Geschäftsführung in meinem Briefkasten. Darin bat man mich, die Projektleitung für die neu zu planende Speicherringanlage BESSY II zu übernehmen.
Planung von BESSY II und Leitung der BESSY I - Anlage
Dieser neuen Aufgabe widmete ich mich mit großer Begeisterung. Tatsächlich hatten wir bereits einige Jah­re vorher Überlegungen angestellt, wo es möglich wäre, nahe bei BESSY I einen Spei­cher­­ring aufzubauen, bei dem eine völlig neue Qualität von Synchrotronstrahlung erzeugt wird, die eine erheblich größere Intensität und eine noch bessere Abstrahlcharakteristik als die Strahlung aus den Ablenkmagneten aufweist. Dies lässt sich durch die kombinierte Wirkung vieler kleiner per­manentmagnetischen Ab­lenk­magne­te erreichen, die den Elektronenstrahl in den geraden Strecken eines Speicherrings sinus­förmig ablenken, wobei sich die Strahlung aus einer Reihe von Strahl­ab­len­kungen in Vorwärtsrichtung überlagert, sowohl inkohärent (Wiggler) und - bei genauer Abstim­mung der Magnetlängen - auch ko­härent (Undulatoren). Die Planung sah vor, möglichst wenig Grünfläche zu versiegeln und den Spei­cherring in unmittel­ba­rer Nähe zu BESSY I unterirdisch zu errichten, mit dem Synchrotron von BESSY I als Injektor.
Dr. Heinz Lehr, Technischer Geschäftsführer BESSY, erläutert das Konzept
der unterirdischen Speicherringanlage BESSY II.
V. l. n. r.: Walter Momper, Regierender Bürgermeister von Berlin,
Prof. Gudat, Wissenschaftlicher Geschäftsführer,
Dr. Krech, Dr. Raiser, Administrative Geschäftsführung,
Hans Kremendahl, Staatssekretär Senat Berlin, Dr. Lehr
Die zur Verfügung stehende Fläche war allerdings beschränkt, so dass es galt, einen elektronenop­ti­schen Entwurf des Speicherrings zu entwickeln, der möglichst viele gerade Strecken zwischen den Ablenkmagneten aufwies und die optische Auslegung robust zu gestalten, so dass die unvermeid­ba­ren kleinen Störungen durch die Magneteinbauten in den geraden Strecken die Strahllebensdauer nur wenig minderte. Eine Arbeitsgruppe unter meiner Leitung entwarf daher auch drei Konzepte, deren Vor- und Nachteile heftig diskutiert wurden, wobei wir uns auf ein Konzept einigten. Die drei Entwürfe wurden einer internationalen Ex­pertengruppe vorgestellt, die den favorisierten Entwurf bestätigte. Gleichzeitig wurde ein Architekt mit der Pla­nung des unterirdischen Gebäudes beauf­tragt, das durch eine Decke nach oben abschloss. Auf diese Decke sollte wiederum Erde zur Wie­der­bepflanzung aufgeschüttet werden. Der wunderschöne Ent­wurf des Architekten stieß jedoch bei einer öffentlichen Diskussion mit den im Umfeld wohnenden Bürgern auf heftigen Widerspruch, wobei vor allem Bedenken wegen des Strahlenschutzes vor­ge­bracht wurden. Weiterhin stockten die Verhandlungen des Berliner Senats mit der Bundesregierung. Unstimmigkeiten führten dazu, dass zunächst alle Forschungsbauvorhaben in Berlin gestoppt wurden.
Im Zuge der Planungen von BESSY II hielt ich mich mehrfach zu Forschungszwecken am Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien auf, da wir einen regen Austausch mit den dortigen Kollegen pflegten. In Berkeley plante man die Advanced Light Source (ALS), die zu BESSY II ähnliche Parameter aufweisen sollte. Die Synchrotronlichtquellen der dritten Generation (z. B. BESSY II) mussten bezüglich ihrer optischen Auslegung unterschiedlich zu den bisherigen Lichtquellen gestaltet werden. Somit hatten wir, insbesondere bezüglich der Robustheit gegenüber Störungen durch die Einbauten in den geraden Strecken, durchaus unterschiedliche Meinungen und fochten diese in einem friedlichen Wettstreit aus. Weiterhin traf ich mich mit Kollegen in Stanford, da am SLAC (Stanford Linear Accelerator Center) ein Synchrotron entstand. Sie wollten meine Erfahrung nutzen und mich daher als Leiter des Synchrotrons gewinnen. Doch ich konnte zu diesem Zeitpunkt das BESSY-Team sowie die „Maschine“ nicht im Stich lassen.
Während dieser Zeit fiel der Speicherring BESSY I mehrfach aus, da die Anlage in die Jahre ge­kom­men war und dringend überholt werden musste. Die BESSY-Geschäftsführung berief mich da­her zum Leiter von BESSY I und zum Geschäftsführungsmitglied, mit dem nächst liegenden Ziel, die Maschine wieder zu einem sicher funktionie­ren­den Instrument zu machen. Dabei galt es, die Ausfallursachen zu analysieren und in den kritischen Bereichen Reparaturen durchzuführen sowie Neubeschaffun­gen zu veranlassen. Neben den weiter voranschreitenden Planungen für BESSY II konnte ich dann in etwa einem halben Jahr akribischer Kleinarbeit, parallel zum laufenden Betrieb, wieder eine voll funktionsfähige Anlage zur Verfügung stellen.
Diese Arbeiten fanden in einer aufregenden Zeit statt: der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Obwohl nach wie vor die Sperre für den Aufbau von BESSY II bestand, nahmen wir sofort Kontakt mit Forscherkollegen aus der ehemaligen DDR Kontakt auf, um über eine gemeinsame Ini­ti­ative zu beraten. Dies betraf Wissenschaftler aus Berlin-Adlershof, der Universität Leipzig sowie des Kernforschungszentrums Rossendorf bei Dresden. Da in der Zwischenzeit auch der Stadtrat von Wilmersdorf Bedenken gegen eine unterirdische Anlage anmeldete, bot sich Berlin-Adlershof als hervorragender neuer Standort für BESSY II an. Grundsätzlich bedeutete dies den Beginn neuer Planungen und Über­le­gun­gen. Für den Speicherring gab es nunmehr keine nennenswerte Flächenbegrenzung, und die gesamte Anlage konnte prinzipiell auf ebener Erde entstehen. Die neuen Planungen liefen allerdings nur sehr zögerlich an, und es war nicht absehbar, ob und wann BESSY II entstehen sollte.
Durch das fast tägliche Gezerre um den Standort und die damit verbundenen ständigen technischen Modifikationen von BESSY II, die politischen Wirrungen entschloss ich mich, neue Wege zu ge­hen. Im Kontakt mit den Mikrotech­ni­kern des Fraunhofer-Instituts bei BESSY I erwachte bei mir das Interesse für die Fertigung mikro­tech­­nischer Bauteile unter dem Einsatz der Synchrotronstrahlung. In Mainz wurde zu Beginn 1991 das Institut für Mikrotechnik Mainz gegründet (IMM). Dessen Leiter, Wolfgang Ehrfeld, fragte mich, ob ich Lust hätte, als Mann der ersten Stunde wesentlich dessen Aufbau zu bestimmen. Dies tat ich dann auch.
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