3     Institut für Mikrotechnik Mainz
Bei meiner Ankunft in Mainz stellte ich fest, dass für das neu zu gründende Institut IMM nur wenige Räu­me am Max Planck Institut für Polymerforschung (MPI) zur Verfügung standen. Ich war der erste Mit­arbeiter. Zusammen mit dem Leiter des IMM, Wolfgang Ehrfeld, stellten wir aus einer Flut von Be­werbungen eine Arbeitsgruppe zusammen. Erste Erfolge gab es schon bald, indem wir mikro­tech­nische Strukturen bei BESSY I lithographisch fertigten und diese erfolgreich galvanisch ab­form­ten. Somit wurde die Lithographie-Arbeitsgruppe mit mir als Leiter gegründet. Wir dehnten unsere Akti­vitäten aus, nahmen Kontakt mit Jenoptik auf und entwickelten gemeinsam einen neuartigen voll­auto­matischen Röntgen­scan­ner, der sich nach mehreren Entwicklungszyklen als Verkaufsschla­ger ent­puppte und in Europa, Asien, den USA und Lateinamerika in Anbetracht der Größe und dem Preis des Objekts in be­trächt­lichen Stückzahlen verkauft wurde.
Damit entstand für die Aus­gründung Jenoptik-Mikro­technik eine Grundlage, welche die Firma anhand der Entwicklung einer Reihe von Fer­ti­gungsgeräten für die Mikrotechnik weiter ausbaute, wobei den Ingenieuren von Jenoptik-Mikrotechnik ihr hervorragendes feinwerktechnisches Know-how sehr zustatten kam. Wir unterstützten Jenoptik weiterhin mit unserem fertigungstechni­schen Know-how und beteiligten uns beispielsweise bei der Entwicklung neuer Elektronenstrahllitho­graphie­­an­lagen.
Um Strukturen mit großem Aspektverhältnis durch Tiefenlithographie herzustellen, erneuerte ich meine Kontakte zu der Leitung des fran­zö­sischen Speicherrings Laboratoire pour l’Utilisation du Rayonnement Electromagnétique (LURE) in Orsay bei Paris, da dort die Elek­tronenstrahlenergie höher als bei BESSY I war, so dass sich wesentlich tiefere Mikrostruk­turen herstellen ließen. In der Folge rüsteten wir dort zwei Strahl­rohre mit Röntgenscannern ein, an denen wir rund um die Uhr tie­­fen­lithographische Strukturen fer­tigten. Darüber hinaus konnten wir verschiedene Ver­bundvor­ha­ben mit den Zielen professionelle Maskenfertigung für die Tie­fen­lithographie, Ein­satz neuer Werk­stoffe zur Substrat- und Maskenherstellung sowie der Erpro­bung neuer hoch­emp­find­licher Resist­ma­­terialien erfolgreich beantragen. Hierbei gelang es im Zuge detaillierter theore­tischer und experi­men­teller Untersuchungen zum Maskenverzug und zur Verbesserung der Auf­lö­sung auch völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten durch Mehrfach- und Schrägbelichtung zu ent­wickeln, wodurch erst­mals eine dreidimensionale Strukturierung von Mikrostrukturen durch Tiefen­lithographie mög­lich wurde.
Durch die Teilnahme an Konferenzen und anhand von Publikationen wurde das IMM weltweit be­kannt. Es entstanden enge Kontakte zum Speicherring in Hsinchu, Taiwan, zur ESRF in Grenoble, wo wir die höchsten jemals produzierten tiefenlithographischen Polymerbauteile herstell­ten, zum Sincrotrone Trieste, zum Speicherring in Daresbury / England, zur Anlage von IBM in Almaden / USA sowie zur Speicherringlichtquelle in Baton Rouge / Louisiana. Darüber hinaus konnten wir gute Beziehungen zu Universitäten und Forschungslaboratorien in USA, Japan und in Brasilien knüp­fen.
Infolge der beträchtlichen Belichtungsaktivitäten bei BESSY I und LURE reifte in Mainz die Idee, vor Ort eine Synchrotronlichtquelle zu errichten. Unterstützt wurde dies von verschiedenen For­scher­­gruppen des MPI und der Universität Mainz, die am Hasylab bei DESY in Hamburg sowie bei BESSY I in Berlin die Synchrotron­strah­lung zur Materialforschung nutzten. Weiterhin engagierte sich die an der Uni­ver­sität Mainz ansässige Beschleunigergruppe. So übernahm ich die Aufgabe, eine Spei­cher­­ring­lichtquelle zu ent­werfen, welche die Mittel des Landes Rheinland-Pfalz sowohl beim Bau als auch beim Unterhalt der Anlage nicht überlasten sollte. Ich arbeitete den kompletten Vorschlag zur Errichtung einer Speicherringlichtquelle aus, der beträchtliches Aufsehen erregte, da bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Genehmigung für BESSY II vorlag. Darüber hinaus hatte man sich am Kernforschungszentrum Karlsruhe mit der Frage beschäftigt, welche neuen Akti­vitäten die große, dort ansässige Forschergemeinde vor dem Hintergrund des erlah­menden Inte­resses an der Kernphysik beginnen sollte. Hierzu zählten auch vorherige Unter­suchungen zur Er­rich­tung eines supraleitenden Speicherrings, an dem ich in meiner Zeit bei COSY MicroTec mitwirkte. Aufgrund der teilweise negativen Erfahrungen mit der Supraleitung am Kompakt­spei­cherring COSY strebte man in Karlsruhe jedoch eine normal leitende Speicherringversion an. In der Folgezeit traten die drei Standorte in einen Wettstreit, der letztlich durch politische Erwägungen zu­nächst zugunsten von BESSY II entschieden wurde. Im Anschluss daran genehmigte das BMBF den Bau der Karlsruher Anlage, deren Konzept meinem Mainzer Entwurf in vielen Details entsprach.
Meine Abteilung wuchs weiter, indem wir für IBM Mainz Tester zur online-Vermessung ma­gne­tischer Spei­cherschichten entwickelten und patentierten. Weiterhin engagierte ich mich für die Entwicklung und Fertigung hybrider elektro­mechanischer Mikrosy­steme. Die Produkte werden aus mikro- und feinwerktechnisch hergestellten Komponenten her­gestellt, wobei die Konstruktion der einzelnen Baugruppen sehr viel mehr als im makro­tech­ni­schen Be­reich die Montage der Bauteile sowie deren Fügeprozess beachten muss. Hier­bei entstan­den mehrere Mikro­motoren und in Zusammenarbeit mit der Firma Faulhaber der erste kom­merziell erhältliche Mikro­ge­triebemotor mit einem dreistufigen Getriebe, das komplett in LIGA-Technik ge­fertigt war. Wir entwickelten mikrotechnische Reluktanzschalter zur präzisen Be­wegung von Glas­fasern, arbeiteten winzige Mikrorelais mit hoher Kontaktkraft aus und stellten Mikromembranpum­pen her, die einer Ausgründung des IMM als Grundlage für eine ra­sante Entwicklung in der Diagnostik, Analytik, Pharmazie und Medizin­technik diente.
Diese Entwicklungen waren dadurch möglich, dass ich, parallel zum Aufbau der Tiefen­litho­graphie und Mikrofertigung, gleichzeitig den Ausbau unserer mechanischen Werkstatt voran trieb, mit den Schwerpunkten Feinst-, Mikro- und Ultrapräzisionsbearbeitung. Mir war schon da­mals klar, dass die erfolgreiche Fertigung von Mikroaktoren sowie deren Marktakzeptanz im tech­nisch nutzbaren Umfeld weniger durch die monolithische Strukturierung von Silizium erreich­bar sein würde, so dass ich den hybridtechnischen Aufbau anhand der Integration verschiedener Struk­turkomponenten bevorzugte, die jeweils aus dem optimalen Funktionswerkstoff zu fertigen sind. Daher konzentrierten wir uns in der Folge auf die Entwicklung von Techniken zur Mikro­mon­tage, die naturgemäß in engem Zusammenhang mit der Herstellung der zu assemblierenden Kom­po­nen­ten steht.
Das frühe IMM-Team (1992) auf der Treppe des MPI
für Polymerforschung in Mainz, rechts: Dr. Heinz Lehr
Damit hatte das IMM einen Entwicklungsstand erreicht, der weltweit Bewunderung hervorrief und zahlreiche Besucher, vor allem aus Asien anlockte. Ich wurde zum Forschungsdirektor und Proku­ri­sten ernannt und vertrat das IMM auf zahlreichen In- und Aus­lands­reisen, häufig im asiatischen Raum.
Parallel hierzu bearbeitete ich mit einem Mitarbeiterstab die Erstellung einer Reihe von Markt­stu­dien, die sowohl dem IMM als auch seinen vielen Industriepartnern als Wegweiser für zukünftige Entwicklungsstrategien dienten. Hierbei entstanden Studien zur Entwicklung von Equipment für Syn­chrotronstrahlungsquellen, zum Einsatz von Mikrotechniken in der Neurotechnologie, zur mikro­technischen Fertigung drucktechnischer Systeme, zur Entwicklung von Navigationssystemen in der Automobiltechnik, zum Einsatz von faseroptischen Vielfachschaltelementen für die Kommu­ni­ka­tions­technik sowie zur Ermittlung von Märkten und Potentialen für den Einsatz von Mikro­motoren.
Bei allen diesen Arbeiten durfte jedoch die Nachwuchsarbeit nicht fehlen. So engagierte ich mich in den parallel zu den Kursvorlesungen Experimentalphysik I und II an der Universität Mainz statt­fin­den­den Kolloquien und warb dort anhand geeigneter Beispiele für die Mikrotechnik. Darüber hinaus hielt ich an der Universität Kaiserslautern Vorlesungen zum Thema Grundlagen der Mikro­struk­turierung mit Synchrotronstrahlung. Weiterhin war ich Mitglied des Gründungsausschusses für den Aufbau der Fachhochschule Zweibrücken und leitete im Auftrag des Ministeriums für Wissen­schaft und Weiterbildung Rheinland-Pfalz zwei Teams, die sowohl für die neu gegründete Fach­hochschule Zweibrücken als auch für die in der Entwicklung befindliche Fachhochschule Remagen Studien­verlaufspläne sowie Raumprogrammunterlagen erarbeiteten.
In dieser arbeitsreichen und sehr erfolgreichen Zeit in Mainz waren die privaten Belange in den Hin­tergrund getreten. Meine Frau arbeitete in Berlin in ihrer eigenen Arztpraxis, und wir tra­fen uns nur am Wochenende. Daher kam uns die Aus­schreibung einer Professur für das Fachge­biet Mikrotechnik an der Technischen Universität Berlin sehr entgegen. Nach meiner Bewerbung und Rufannahme folgte für mich der Umzug nach Berlin.
Prof. Dr. Heinz Lehr mit der Ernennungsurkunde
vorm Hauptgebäude der Technischen Universität Berlin
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