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6 Praxisnahe Ausbildung für Elektrofahrzeuge
Im Dezember 2011 bot mir das Präsidium der TU Berlin an, bei den
Aktivitäten des Hochschulpakts III mitzuwirken, einem
Bund-Länder-Programm des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung, welches durch Fördermaßnahmen in den Jahren 2011
bis 2016 an den Universitäten innovative Lehr- und Lernformen
unterstützt, insbesondere in den hoch ausgelasteten
MINT-Fächern.
Durch die Kontakte mit verschiedenen
Automobilfirmen wusste ich, dass sich die deutsche Automobilindustrie
intensiv mit der Entwicklung von Elektrofahrzeugen beschäftigte,
da dieses Thema offensichtlich große wirtschaftliche und
umweltpolitische Chancen bietet. Neue Forschungsergebnisse zur
Speicherung der elektrischen Energie und erhebliche Fortschritte in der
Antriebstechnik boten die Möglichkeit, Elektromobile mit
ausreichenden Reichweiten zu bauen, um abgasfrei und umweltfreundlich
den Verkehr in den Städten zu bewältigen. Gleichermaßen
verkündigte die Bundesregierung ihren Willen, den Standort
Deutschland zum Leitanbieter für die Elektromobilität zu
entwickeln.
Deutsche Automobilbauer produzieren bisher
vornehmlich Verbrennungskraftmaschinen, so dass sich auch die
Ingenieursausbildung für diesen Zweig der Wirtschaft auf
entsprechende Themen konzentrierte. Dementsprechend stellt die
Anforderung, die elektrische Antriebstechnik sowie die elektronische
Ansteuerung und die Energiespeicherung mit einem Automobil zu
verknüpfen, für das Gros der Automobilbauer eine schwierig zu
bewältigende Aufgabe dar. Will man die hochgesteckten Ziele der
Bundesregierung in Angriff nehmen, bis 2020 eine Million
Elektrofahrzeuge auf die Straße zu bringen, so sind
erhebliche Anstrengungen zur Umstrukturierung der Forschung,
Entwicklung und Ausbildung in Deutschland notwendig. Die in der
Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) tätigen Vertreter
aus Industrie, Wissenschaft und Gesellschaft haben daher
themenübergreifende Schlüsselbereiche definiert, die einer
Förderung bedürfen und erklärten, dass parallel zu
den Aktivitäten in verschiedenen F&E-Bereichen die Bildung
sowie die Qualifikation von Maschinenbau- und Elektroingenieuren in den
relevanten Themengebieten intensiviert werden muss.
Ich ergriff diese Gelegenheit und reichte
einen Antrag ein, mit dem Ziel, unseren Absolventen durch gezielte
Ausbildung auf dem Gebiet der Elektromobilität neue Zukunfts- und
Berufschancen auf dem wachsenden Markt der Elektrofahrzeuge zu
eröffnen. Die Studierenden sollen im Verlauf einer
Projektveranstaltung sämtliche Komponenten des elektrischen
Antriebsstrangs theoretisch und praxisnah mit folgenden
Ausbildungsschwerpunkten kennen lernen: Elektromotoren,
Leistungselektronik, Energieversorgung und Batteriemanagement sowie
Fahrversuche mit Modellfahrzeugen. Für mein Fachgebiet war dies
jedoch keine neue Zielsetzung in der Lehre, da ich parallel zum
Maschinenbaustudium eine Ausbildung in Analog- und Digitalelektronik,
Messtechnik und Antriebstechnik, Mikroprozessortechnik und Mechatronik
anbot. Mit dem Thema Elektromobilität eröffnet sich nunmehr
die Chance, diese Themen zielgerichtet zu kombinieren und die
Studierenden durch hardwarenahes Training für diesen neuen
Berufszweig zu ertüchtigen.

Nach der Projektbewilligung erhielt mein
Fachgebiet für den Aufbau der Projektveranstaltung „Modulare
Ausbildung Elektromobilität“ (MABEL) Fördermittel,
welche ab April 2012 bis zum Jahr 2016 eine jährliche
Sachmittelzuwendung sowie die Finanzierung eines wissenschaftlichen
Mitarbeiters bis ins Jahr 2017 umfassten. Bei der Sichtung kommerziell
erhältlicher Lehrmittel zu den Themengebieten Elektromotoren,
elektronische Ansteuerung sowie Energieversorgung zeigte sich
allerdings, dass die angebotenen Systeme nicht die von uns angestrebte
didaktische Ausrichtung gewährleisteten, da deren
vollautomatische, computergestützte Ansteuerung und Regelung das
intensive und hardwarenahe Engagement und Lernen der Studierenden
behindert hätten. Stattdessen beschlossen wir, den
Motorprüfstand nebst Ansteuerung sowie auch die Lerneinheiten
Energieversorgung und induktive Ladetechnik selbst zu entwickeln und zu
fertigen. Dahingegen waren am Markt geeignete Modellfahrzeuge
verfügbar, die eine einfache Demontage, den Einbau neuer Motoren,
die Erweiterung der Steuerung und Regelung sowie die Montage
zusätzlicher Sensoren zuließen.
In der Folge entwickelten und fertigten
mehrere Studierende im Rahmen ihrer Bachelor- und Masterarbeiten
einen Motorprüfstand, verschiedene elektronische Schaltungen
für den aktiven Ladungsausgleich bei Lithium-Akkumulatorpaketen
und erweiterten fünf Modellfahrzeuge mit Sensoren für deren
autonome Spurregelung. Unter Kenntnis der am Prüfstand ermittelten
Motordaten lassen sich mit den Fahrzeugen Reichweitentests
durchführen. Weitere Hardwareinstallationen betrafen den Aufbau
einfacher Versuchseinrichtungen zur induktiven Energieübertragung
sowie die Bereitstellung von Leistungselektronikschaltungen für
die Ansteuerung der Elektromotoren. Damit stand das erforderliche
Equipment bereit und die Projektveranstaltung konnte zum Sommersemester
2013 unter der Leitung von Dr.-Ing. Robert Dreyer erstmalig starten.

Wegen des großen Andrangs von
Studierenden mussten wir aufgrund der räumlichen Verhältnisse
und der notwendigen intensiven Betreuung durch Assistenten die Anzahl
der Teilnehmer auf dreißig beschränken. Nach
einführenden Lehrveranstaltungen über Elektrofahrzeuge wurden
die Teilnehmer anhand von Demonstrationsexperimenten in die Funktion
des Motorprüfstands, in das Prinzip sowie den Aufbau der
Leistungselektronik und den aktiven Ladungsausgleich der Akkuzellen, in
die Wirkungsweise der induktiven Energieübertragung sowie in den
Aufbau der Modellautos eingeführt. Danach erfolgte eine Aufteilung
in Arbeitsgruppen, wobei jede Gruppe ein Entwicklungsthema aus den
einzelnen Schwerpunktsgebieten bearbeitete und am Ende des Projekts die
Arbeitsergebnisse im Rahmen eines Seminarvortrags präsentierte.
Die Gruppen erarbeiteten dann einen Abschlussbericht über ihr
Thema und kombinierten diese Arbeiten gemeinsam zu einem
Gesamtergebnisbericht. Dieses Arbeitsschema, bei dem die Teilnehmer
sehr viel Raum für eigene Entwicklungen erhalten und die
mechatronische Verknüpfung der Funktionsgruppen im Elektroauto
hardwarenah und praktisch studieren können, erwies sich als
höchst erfolgreich, so dass wir die Vorgehensweise mit kleinen
Themenvariationen beibehielten.
Die Teilnehmer der Kurse, die wir in der
Folge jedes Semester durchführten, zeigten sich durchweg hoch
begeistert und trugen durch eigene Entwicklungsarbeiten zur Optimierung
des Lehrangebots bei. So wurden für den Motorprüfstand
Gehäuse gefertigt, welche den Test neuer Motoren gestatten,
angepasste Drehmomentmesseinrichtungen montiert, die automatisierte
Messwertaufnahme mit LabVIEW neu gestaltet sowie eine völlig
neuartige Hysteresekupplung aufgebaut und getestet.
Bei dem Thema Leistungselektronik
beschäftigten sich die Teilnehmer mit der Pulsweitenmodulation und
entwickelten zur Drehzahlvariation von Gleichstrommotoren verschiedene
Vierquadrantensteller. Sie wagten sich sogar an die Eigenentwicklung
eines Frequenzumrichters, der sich zur Ansteuerung von
Asynchronmaschinen eignet.
Die induktive Energieübertragung
koppelten die Studierenden gerne mit dem Aufladevorgang der
Akkumulatoren, wobei verschiedene schaltungstechnische Maßnahmen
unterstützt durch PSPICE erprobt wurden, um den Wirkungsgrad zu
verbessern.
Die Untersuchungen zur Optimierung der
Reichweite der Modellfahrzeuge konzentrierten sich zunächst auf
die Erprobung verschiedener Fahrzeugkonfigurationen und deren
Auswirkung auf den Energieverbrauch. Andere Teilnehmer testeten
unterschiedliche Antriebsmotoren, variierten die
Getriebeübersetzung und verbesserten die Fahrzeugdynamik sowie die
Sensorik zur Erkennung von Hindernissen und der autonomen Wegfindung.
Neue Entwicklungen betreffen die Verbesserung
der Kommunikation zwischen dem Fahrzeug, dem Steuerungs-PC sowie der
Ladestation, mit dem Ziel, bei geringem Akkuladezustand autonom die
Ladestation anzusteuern, den Akku induktiv zu laden und sodann die
Fahrt fortzusetzen.

Insgesamt zeigt sich, dass das Lehrprojekt
MABEL bei den Teilnehmern trotz der teilweise hohen Anforderungen
sowie dem zeitlichen Aufwand von etwa eineinhalb Tagen pro Woche sehr
beliebt ist. Die Studierenden schätzen den engen Kontakt mit der
Hardware sowie auch das Erlernen mechatronischer Inhalte anhand des
Zusammenwirkens der Systemkomponenten im Komplex Elektroauto.
Die Ausbildung in der Fakultät V
konzentriert sich in hohem Maße auf Themen des reinen
Maschinenbaus, so dass die Abgänger wenig Interesse für die
Randthemen von Maschinenbau und Elektrotechnik zeigen. Es ist unser
Bestreben, dies zu verbessern und wir stellen mit Freude fest, dass
viele unserer Lehrveranstaltungen, welche elektrotechnische,
elektronische und informationstechnische Querschnittsthemen des
Maschinenbaus und der Elektrotechnik betreffen, dazu beitragen, die
Ausbildung in diesem Bereich zu verbessern. Inzwischen bewerben sich
unsere Masterabgänger und Promovenden im Bereich der
Elektromobilität auf Beschäftigungspositionen bei Audi, BMW,
Continental, Daimler und VW im Bereich Elektromobilität und
erhalten auch eine Anstellung.
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